MODERN DANCE

Kurzvortrag von Heike Hänscheid zum Tanzfestival am 20.12.2009:

Tanzen – eine der ältesten Kulturleistungen der Menschen. Kult-Tanz, Volks- und höfischer Tanz, Bühnen-Kunst: Immer schon hat sich der Mensch bewegt, um Gefühle und Gedanken auszudrücken – und immer wieder gab es Visionäre, die dem Tanz neue Wege geöffnet und ihn weiterentwickelt haben.

Heute möchten Ihnen die Organisatoren des Tanzfestivals - wie im vergangenen Jahr - wieder einen Tanzstil vorstellen. Ein wenig Theorie und ganz viel Praxis soll Ihnen dieses Mal den so genannten „Modern Dance“ näher bringen und dabei vor allem zwei Säulen dieser Tanzrichtung präsentieren: Lernen Sie Martha Graham und José Limón kennen und spüren Sie etwas von der Faszination dieser beiden Ikonen des modernen Tanzes.

Eine kontinuierliche Entwicklung hat der Modern Dance zwar vor allem in den USA erlebt – aber seine Wurzeln hatte er ganz sicher auch in Deutschland, wo Namen wie Mary Wigman, Rudolf von Laban und Kurt Jooss, der nach Assistenzjahren bei Rudolf von Laban Mitte der 20er Jahre als Ballettmeister und Regisseur am Stadttheater hier in Münster arbeitete, mit dem Entstehen des Deutschen Ausdruckstanzes eng verbunden sind.

Zur gleichen Zeit begann in den Vereinigten Staaten eine Gruppe junger Tänzer und Choreografen, den strengen Bewegungskodex des Klassischen Balletts durch eine neue Art des Tanzens zu durchbrechen: Sie suchten nach Möglichkeiten, die Emotionen und Befindlichkeiten des modernen Menschen durch Bewegung und Tanz ausdrücken zu können. Zu dieser Gründergeneration des modernen Tanzes gehören Isadora Duncan und Ruth St. Denis. Sie suchten Bewegungen, die den Körper zu einem Ausdrucksmittel machen konnten für das, was im Tänzer oder generell in den Menschen ihrer Zeit vorging. Im Gegensatz zum Klassischen Ballett, bei dem die Tänzer durch ihre Anmut und Leichtigkeit nur Symbole für eine höhere Ordnung und Harmonie waren – also nichts aus dem eigenen Inneren zeigen sollten – wollte der neue Tanz Raum geben für das Tanzdrama, aber auch ein verändertes Verhältnis zum Körper zeigen.

Martha Graham
Genau hier begegnen wir in der zweiten Generation des Modern Dance unserer ersten „Säule“: Martha Graham . Sie verließ die Tanzrichtung ihrer Lehrergeneration, weil sie keine Lust hatte, „einen Baum darzustellen, oder eine Blume oder eine Wolke“, wie es etwa Isadora Duncan in mystischen Naturtänzen tat. Für Martha Graham ging es um die eigene Vitalität und Energie, die sie im Wandel der äußeren Lebensbedingungen und im Denken der Menschen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts spürte.

„Das muss Ausdruck im Tanz finden!“ war ihr Ziel, als sie 1926 in Manhattan die Martha Graham School of Contemporary Dance gründete, aus der später die Martha Graham Dance Company hervorging. Hier revolutionierte sie das klassische Ballett, indem sie den Tanz nicht mehr einem standardisierten Bewegungsablauf unterordnete, sondern Gefühlen und Emotionen den bedingungslosen Vorrang gab. Nicht mehr schön und fließend, sondern von innerer Bedeutung, Erregung und Drängen gekennzeichnet waren ihre Choreografien und Techniken.

Dabei entstand das für ihre Schule so Typische: Sie baute ihre Tanztechniken auf den elementaren Bestandteilen von Anspannung und Entspannung sowie der Atmung auf. Ihre «Martha Graham Technik» zeichnet sich durch kraftvolle, dynamische, schroffe und spannungsgeladene Motorik und Bewegungen aus: Schlag- und Stoß-Akzente, sperrige, fast verkrampfte Bewegungen, die brüsk abbrechen und mit Momenten der Reglosigkeit abwechseln: „Contraction and Release“ – also Anspannung und Loslassen – sind die Schlagworte, die ihre Technik am besten und bekanntesten umschreiben: Im Rhythmus des Ein- und Ausatmens nutzt sie die Momente von Atemlosigkeit oder gänzlich gefüllter Lungen durchaus auch, um erotisch-sinnliche Dimensionen über Hüftbewegungen einzuschließen. Ihre Tänzerinnen sind nicht die ätherischen Wesen, die auf Spitzen durch ein klassisches Ballet schweben oder getragen werden – ihre Frauen sind kraftvoll mit eckigen und stoßenden Bewegungen raumgreifend auf der Bühne unterwegs.

In ihrer über 60 Jahre währenden Bühnenarbeit schuf Martha Graham 181 Werke. Im Alter von 75 Jahren gab sie zu ihrem großen Bedauern ihre letzte eigene Tanzvorstellung. Noch bis kurz vor ihrem Tod 1991 mit 96 Jahren choreografierte sie ihre Tanzstücke. Die von Martha Graham geprägten Tanztechniken werden immer noch gelehrt: In der Martha Graham Tanzschule in New York haben auch Stars wie Madonna Unterricht genommen. In Deutschland arbeitete als erste deutsche Tanzkompanie das Kölner Tanz-Forum ab 1971 auf der Basis der Graham-Technik. „Bewegung lügt nie“, so sagte Martha Graham zeitlebens. Dass ihr Platz in der Geschichte des Tanzes dem von Picasso in der Malerei entspricht, bestreitet unter Kenner der Tanzkunst kaum jemand. Schauen wir nach diesem theoretischen Einstieg, wie uns die Tänzerinnen der Rebel Dance Company die Technik und Ideen der großen Tänzerin und Choreografin Martha Graham jetzt durch ihre Körper erklären. (...)

José Limón
Es kann kein Zufall gewesen sein, dass der gebürtige Mexikaner José Limon, der mit seinen Eltern in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die USA ausgewandert war, von Freunden mitgenommen wurde zu einem Tanzabend mit dem deutschen Ausdruckstänzer Harald Kreutzberg. Es war wohl Fügung, denn der 20-jährige angehende Maler war wie elektrisiert, so wird beschrieben. Auf der Stelle entschied sich der junge Mann, Tänzer werden zu wollen. Im Studio von Doris Humphrey und Charles Weidman – sie hatten gemeinsam mit Martha Graham bei den Lehrern der ersten Generation des Modern Dance studiert – wurden männliche Tänzer aufgenommen, und der 1,90 Meter große José mit seinem kräftigen Körperbau startete voller Elan und ohne jede Vorbildung eine große Karriere.

Eine seiner ersten Kritiken sprach zwar von ihm als „ einem seiner einheimischen mexikanischen Bullen in einem Porzellanladen nicht unähnlich“ – aber das entmutigte Limón nicht. Später sagten alle über ihn, dass er als Tänzer eine „hypnotische Ausstrahlung“ gehabt habe, ja DER männliche Tänzer schlechthin gewesen sei. Auch er suchte nach neuen Ausdrucksformen. Sein Credo dabei: Der Körper des Tänzers ist ein Orchester, jedes Teil dieses Körpers ist ein Instrument. Tanzen lernen hieß für ihn, diese Instrumente spielen zu lernen. Über die Technik von Atem, Spannung und Entspannung, die er bei Martha Graham kennen lernte, fand er zu den wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten seiner eigenen Tanzsprache: Fallen und Aufschwung – Fall and Recovery.

Besonders die männlichen Tänzer bekamen durch seine Ideen, seine Technik und sein Vorbild ein ganz neues Repertoire: Freiheit und männliche Leidenschaft und Kraft durften sie zeigen – eigenständige Ballette nur für Männer choreografierte er und holte sie weg von der Rolle der Partner oder „Stützpfeiler“ der Ballerinen im Klassischen Ballett. Der Boden ist die Basis für die Limón-Technik. Hier haben die Tänzer festen Stand, von dem aus sie die Schwerkraft als positive Kraft nutzen: Sein Vokabular der Technik zeigt es deutlich. Fallen und Wiederaufrichten, Schwere, Energie, Zurückschwingen, Nachfedern, Spannung-Halten. Dabei war ihm immer wichtiger, dass wahrhaftig getanzt wurde als die Perfektion seiner Tänzer. „Bei ihm wirken alle Tänzerinnen und Tänzer größer als sie wirklich sind“, so beschrieb ein Kritiker die Raum-greifenden und bis an die Grenzen ihrer körperlichen Möglichkeiten gehenden Bewegungen der Limón-Schüler. Seine Company machte in den 50er und 60er Jahren Tourneen durch Europa und Südamerika und wurde begeistert gefeiert.

1967 erkrankte José Limón an Krebs und hörte 1969 auf, selbst zu tanzen. Während seine Company Ende 1972 auf Honolulu auftrat, starb José Limon, der 74 Choreografien geschaffen hatte und drei Ehrendoktorwürden amerikanischer Universitäten bekam. Tanz war für ihn Ausdruck menschlichen Geistes und sollte Antworten auf die großen Fragen des Lebens geben.

Er und Martha Graham gehörten zu den großen Visionären, die eine neue amerikanische Kunstform geschaffen haben – den Modern Dance. (...)"

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